Marais & Sonnenkönig
Das Marais, Paris’ angesagtestes Viertel im 17. Jahrhundert, sollte nach der Zeit Ludwig XIV. nie mehr so sein wie früher. Der Sonnenkönig, der so viel dafür getan hat, daß Frankreich die Macht Europas wurde, hat versehentlich einen Schatten auf das Marais fallen lassen.
Ludwigs Regierungszeit zeichnete sich durch Prestige, Glanz und Gloria aus. Mit seiner Entscheidung nach Versailles zu ziehen, zog das Centrum der Macht 30 km weiter nach Südwesten in seinen atemberaubenden Palast mit seinen prächtigen Gärten und Springbrunnen sowie dem überwältigendem Spiegelsaal. Vor allem aber zog seine absolute Macht nach Versailles und mit ihr die Kultiviertheit und der König mitten drin.
Im Laufe der Jahre zog es die Pariser High Society immer mehr auf das linke Ufer, die Rive Gauche. Das passierte gegen Ende des 17. Jahrhunderts nach dem der König mit seinem Hofstaat offiziell im Jahre 1682 nach Versailles gezogen war. Und so wurde das elegante Viertel des 18. Jahrhunderts um die große und inkongruente Kirche Saint Sulpice geboren und das Marais erlebte einen Niedergang.
Trotz allem blieb das Marais während des 17. Jahrhundert kulturelles Centrum. Aristokraten frequentierten die Salons, neckten und parierten in geistreichen Gesprächen. Als ehrgeiziger Bewohner öffnete man seinen Stadtpalais der eleganten und gebildeten Welt. Vergnügen hieß das Ziel, begleitet von ausgesuchtem Geschmack aber auch von Horizonterweiterung durch hochtrabende Unterhaltung und geistreiche Lektüre. Unerwarteterweise wurden die Salons des Marais zur Brutstätte des Nachwuchses für des Königs größte Schwäche: seine Maîtressen.
Zwei von Ludwigs Langzeit-Maîtressen, Athénaïs de Montespan und Françoise Scarron, die spätere Madame de Maintenon, trafen sich zum Beispiel im Hôtel d’Albret (31, rue des Francs Bourgeois). Dieses elegante Stadtpalais steht auch heute noch. Diese enge und unregelmäßige Straße mit ihren Villen war die damalige Park Avenue. Und so ist es nicht überraschend, daß das Hôtel Albret eine der feinsten Adressen für die bessere Gesellschaft war. Athénaïs war ein Stammgast als sie schon Ludwigs Maîtresse war. Auch Françoise, wenn auch etwas abgebrannt, schwirrte durch diese Welt.
Für ein Mitglied der Königsfamilie war die Heirat zu diesen Zeiten selten eine Herzensangelegenheit. Das Arrangement wurde üblicherweise von einer politischen Allianz begleitet. Als Ludwig mit der Spanischen Infantin (Marie-Thérèse) 1660 verheiratet wurde, so war der Frieden zwischen diesen beiden großen Nationen gesichert. Es wird allerdings gemunkelt, daß Ludwig beim Anblick seiner Braut sehr blass wurde. Sie war beileibe keine wahre Schönheit und Ludwigs Cousine ersten Grades und hatte etwas Inzestuöses an sich. Sie war plump, hat schwarze Stummel an Stelle von Zähnen und elephantöse Beine. Zudem sprach sie Französisch mit einem (zu) starken spanischen Akzent, aber das Schlimmste war, daß sie völlig geistlos und bar jeden Esprits war. Der König kam zunächst damit zurecht und behandelte sie immer mit Respekt. Als sie ihm dann einen Thronerben geschenkt hatte, ging seine Aufmerksamkeit auf Wanderschaft.
Seine erste wirkliche Liebschaft, die ihm zu Herzen ging, war Louise de la Vallière. Seine Mutter, Anna von Österreich, arrangierte dieses Zusammentreffen. Anna, die sich grämte, daß Ludwig sich für Henriette, die Frau seines ebenso schwulen wie flamboyanten Bruders, interessieren könnte, sorgte somit für ein bißchen Abwechslung. Sie hatte es so eingerichtet, daß Ludwig beim Essen immer Gesellschaft von attraktiven Single-Frauen hatte. Ihr Trick funktionierte. Ludwig war hingerissen von der lieblichen Louise.
Als junger Erwachsener war der Sonnenkönig ein wenig schüchtern. Die niedliche und unkomplizierte Louise war seine Einführung in die Liebe und Historiker beschreiben dieses als eine sehr idyllische Liebelei. Die unreife Louise fühlte sich jedoch zuweilen unwohl in ihrer Rolle als Haupt-Maîtresse. Jedermanns Lieblings-Klatschbase des 17. Jahrhunderts, die Marquise von Sévigné, nannte sie ein verwelkendes Veilchen. Louises größter Fehler war wohl, daß sie die heißblütige Athénaïs de Montespan zur besten Freundin und Vertrauten hatte, die sie ein wenig vor dem verleumderischen Treiben bei Hofe schützen sollte.
Athénaïs de Mortemart, Madame de Montespan, war von stürmischem Wesen. Eine wahre Schönheit – ein Höfling bezeichnete sie al eines der seltenen Meisterwerke der Götter –, die sowohl lüstern, clever und charmant war. Ihr Sex-Appeal blieb auch dem König nicht verborgen.
Athénaïs konnte des Königs Aufmerksamkeit für unglaubliche zwölf Jahre halten und gebar ihm aufgrund seiner inbrünstigen Gefühle sieben uneheliche Kinder. Genau da lag aber auch das Problem: Athénaïs war bereits verheiratet, so daß die Kinder mit großer Vorsicht im Geheimen großgezogen wurden.
Die Auswahlkriterien für die Kindermädchen waren von Anfang an klar. Sie wollte jemanden, der keine Bedrohung was Ludwigs Gefühle für sie betraf, darstellte, sowie wie sie selbst es mit Louise gemacht hatte. So dachte sie sofort an ihre Freundin, die Witwe Scarron, ihrer Kameradin aus dem Hause Albret.
Ironischerweise wurde jede von Ludwigs Langzeit-Maîtressen unbeabsichtigterweise von ihrer Vorgängerin eingeführt. So geschah es auch mit der Witwe Scarron.
Françoise d’Aubigny war intelligent, sehr katholisch und eher reserviert und doch sehr attraktiv, wenn auch nicht so verführerisch wie Athénaïs. Zu Anfang war der König nicht gerade hingerissen, aber alsbald lernte er, ihre Sanftheit mit seinen Kindern und ihre Diskretion zu schätzen.
Sie hatte bereits ein unglaubliches Schicksal mit vielen Rückschlägen hinter sich. In einem Schuldgefängnis geboren, kam sie zwar aus einer adligen aber völlig verarmten Familie. Und so verlor sie auch Ihre Eltern früh. Ohne Mitgift erschien ihr das Kloster, der einzige Ausweg zu sein. Es trug sich aber zu, daß der zotige Paul Scarron, ein perverser Invalide in einem damals hochmodernen Rollstuhl, um ihre Hand anhielt. Er hielt in seinem Salon im Marais Hof (das Haus existiert nicht mehr) und dort war es auch wo Françoise große aktuelle Künstler und Intellektuelle traf. Sie mischte sich vorzüglich unter die Oberschicht und schaffte es, ihr unverzichtbar zu werden.
Dies war sehr schlau von ihr, da Scarron ihr bei seinem Tode nur Schulden hinterließ. So kamen die Reichen ihr zu Hilfe und sie erhielt auch eine kleine Zuwendung von des Königs Mutter, Anna von Österreich. Während dieser Zeit war sie häufig im Hause Albret zu Gast, wo sie auch Athénaïs kennenlernte. So bekam sie das Job-Angebot ihres Lebens: das geheime Kindermädchen der königlichen Bastarde.
Diese Kinder unter größter Geheimhaltung großzuziehen war kein Leichtes, aber die Witwe Scarron erfüllte ihre Aufgabe. Mit der Zeit legitimierte der König seine Kinder und ließ sie mit Françoise, der er den Titel Madame de Maintenon gewährte, in Appartements in Versailles leben. Wahrscheinlich war sie eine Frau mit einer Mission. Als gläubige Katholikin wollte sie des Königs Seele retten. Das war kein leichtes Unterfangen. Sogar des Königs Beichtvater, der Père Lachise, der mit dem Bau der Barockkirche Saint Paul im Marais (rue Saint Antoine) verbunden wird, musste sich zuweilen verabschieden, wenn er eine Situation heraufziehen sah, in der es schwierig würde die Absolution zu erteilen.
Zurückblickend kann man sagen, daß der König, obwohl Hals-über-Kopf in Athénaïs verliebt, zahllose Geliebte hatte: Madame de Ludre, Mademoiselle des Oeillets, Mme de Thiange (Athénaïs’ Schwester), die Prinzessin Soubise (sie war es, die dank ihrer Liaison mit dem König das größte Palais im Marais erbaute) und Mademoiselle de Fontange sind die bekanntesten.
Der König hatte offensichtlich starke Begierden, wenn es um Essen, Sex oder Architektur ging. Sein Appetit konnte kaum gestillt werden und Vielweiberei war an der Tagesordnung. Eines Tages kritisierte seine Mutter seine Schürzenjägerei und warf ihm vor, ein schlechtes Vorbild zu sein. Der König sah dies ein, entgegnete aber, daß er nicht anders könne.
Später flaute sein Interesse für Ahénaïs ab. Ihre zunehmende Fülligkeit war einer der Gründe. Der König war auch ihre explosiven Ausbrüche leid. Ihre Implikation in die „Giftaffaire“ gab ihr dann wahrscheinlich den Rest.
Witzbolde hatten ihren großen Tag, als es immer offensichtlicher wurde, daß der König von Madame de Maintenon betört war. So konnten sie nun sagen, daß der König mit der „Ehemalig“ und der „Jetzt“ sei (der Name „Maintenon“ hört sich genau wie „maintenant“, „jetzt „ auf Französisch, an).
Schließlich hatte Athénaïs keine andere Wahl, als sich vom Hofe zurückzuziehen. Und als die Königin, Marie-Therese, 1683 verstarb, fragten sich alle, wen der damals wohl mächtigste Mann heiraten würde. Welche Royal würde ihn abbekommen? Es war Madame de Maintenon. Sie heiraten in einer geheimen Zeremonie. Und Ludwig blieb ihr bis zum Ende seiner Tage treu. So sehr, daß Françoise sich beklagte, daß sie ihren ehelichen Pflichten noch bis in ihre Siebziger nachkommen mußte. Des Königs Ergebung war jedoch auch anrührend und er nannte sie „meine Festigkeit“.
Und so führen die außergewöhnliche Geschichte des Königs und seine Liebschaften Versailles und das Marais zusammen